Last updated: 17.05.2003
Aus der PO-Ebene

Entkleidungswillige Spielernaturen, die in erotischer Hochspannung das Studio betreten, stoßen auf ein eher niederschmetterndes Ambiente. Der amtierende Nacktwirt Hugo Egon Balder lümmelt saftlos an seinem Moderatorentisch. Durch die grellbunten Kulissen geistert schnatternd das internationale, textilschwache "Cin-Cin"-Ballett. Monique, Balders silberhaarige Leib-Astarte, grimassiert asexuell in die Kamera, die Zweitassistentin Tiziana zupft stoisch an ihrer ausgereiften Oberweite. Nur die zugereisten Kandidaten beben in ungebremster Lebensfreude. Maria zum Beispiel, eine gebürtige Bulgarin und vollschlanke Diplom-Dolmetscherin, schielt erregt auf die mit Früchtenamen versehenen Freicorps-Tänzerinnen und wählt als Glücksfee die "Ananas". Der Mitspieler Gilbert, ein hagerer französischer Kahlkopf mit Wohnsitz in Wolfsburg, radebrecht charmant: "Isch habe gescheidet für die Kirsche." Die multikulturelle Cin-Cin Gemeinschaft entblößt ordnungsgemäß den Bronchialbereich. Tiziana küßt mütterlich den glücklichen Gallier, der alsbald ungestüm auf ein Podium springt. Balder keucht feurig "Fronkreisch!". Ungläubig starrt die polyglotte Maria auf den asthenischen Gockel, der san souci Hemd, Hose und Kußhände in den Raum wirft und, als Höhepunkt, einen feinrippigen Baumwoll-Slip vorweist. Triebschädigende Sockenhalter sind unerwünscht im Reigen der neuen "Tutti Frutti"-Sendungen. In Italien wird wieder frisch produziert. Dort in einem kleinen Mailänder Studio, in dem auch der italienische Privatsender Italia 7 seine nudistische Spielwiese "Colpo Grosso" herstellt, hat für einige Wochen der deutsche Schamhaarspezialist RTL plus Quartier bezogen. Zügig fertigt das Kölner Team 38 "Tutti-Fruttis" für das kommende Jahr, pro Drehtag drei Sendungen. Von März an wird die Lottershow in tiefscharfen 3-D-Bildern gezeigt. 20 Millionen Sehhilfen, Stück zwei Mark, liegen dann bei den Optikern bereit. Ein neuer Sendeplatz im neuen Jahr, freitags 23 Uhr, soll überdies den Geschlechtsverkehr im deutschen Schlafzimmer familienfreundlich anheizen.

"Tutti-Frutti", die häusliche Voyeurstränke, ist noch immer populär und profitabel. Die Werbe-Einschaltungen spülen 1991 rund 15 Millionen Mark in die Anstaltskasse. Rund zwei Millionen Zuschauer, 56 Prozent davon bölkstoffumwölkte Kerle, laben sich regelmäßig an der Revue. Ächzend haben schon aufgerüttelte Hausfrauen telefonisch nach Köln gemeldet: "Meinem Alten fallen gleich die Augen aus dem Kopf."

Dem Früchtehändler Balder behagt das sehr. Stolz inspiziert er im Mailänder Atelier sein quellbrüstiges Spalierobst, das flankierend mit den Pfirsich-Ärschen wackelt, während die bulgarische Schwergewichts-Aphrodite sich aus dem schwarzen Korsett windet und triumphierend in Straps und Hüfthalter posiert. Mit rund 7000 Mark Beute entschwindet sie aus der lombardischen Po-Ebene. Der bleiche Franzmann kassiert bescheidener, kobolzt aber haltlos und medial runderneuert durch sein Strip-Gehege. "Gilbert war süß", urteilten weich die Damen vom RTL-Stab.

An die 4000 radikal enthemmte Öffentlichkeitsarbeiter lauern noch als Reserve-Armee, darunter 3000 Männer, die mit brachialem Selbstbewußtsein, ungeachtet aller ästhetischen Bedenken, nach gemeinnütziger Entblößung hungern. Ärzte, Bäcker und 70jährige Rentner haben sich beworben. Dem elfenbeinfernen Akademiker-Milieu entsprang ein Student der Hinduistik, der vorübergehend von Schiwa und den heiligen Kühen Abschied nahm und sich am Gesäuge der deutschen Fersehunterhaltung wärmte.

Dionysisch temperierte Frauen unter den "Tutti-Frutti"-Freunden haben solche maskulinen Erfrischungen immer wieder vielstimmig verlangt. In der Kölner Zentrale ist auch bereits über ein "gut gebautes Euroboy-Ballet" nachgedacht worden, doch erhob sich rasch der Einwand, heterophile Herren könnten die "sexy boys mit knackigen Hintern" als Abirrung ins Tuntige brandmarken und angewidert zur Fernbedienung greifen. Unerhört verhallte die Anregung der Kandidatin Jeanette, es gebe doch "jede Menge Möglichkeiten, einen Mann untenrum attraktiv herzurichten".

Moralstrenge und feministisch aufgehetzte Damen sind derlei Auswüchsen immer energisch entgegengetreten. "Brust raus!" pöbelten katholische Matronen. Und die leicht verletzliche Nürnberger Gleichstellungs-Beauftragte Maria Niggemann untersagte allen narzistisch gefährdeten Quotenschwestern, "ihre Würde als Frau und Mensch" dem Profitgeilisten RTL plus zu opfern. Auch Balders "Alles Nichts Oder?"-Kollegin, die Sexualdissidentin Hellla von Sinnen, die eigentlich neigungsbedingt für den ausdrucksvollen Frauenleib schwärmt, hat den Maitre mehrfach verwarnt: "Ich kann Ihre Sendung nicht mehr sehen, Hugo, sie ist äußerst peinlich." Der gedengelte Balder konterte zielgenau, "in punkto Weiblichkeit" sei Frau Hella "ein abschreckendes Beispiel".

Im Laufe des Jahres ist die allgemeine Empörungsenergie aber doch beträchtlich abgeschmolzen. Laut Presseumfragen würden nun 72 Prozent des gesamtdeutschen Frauen-Aufkommens einer TV-"Kußszene fast nackt" ohne sittliche Verwilderung beiwohnen. Männer, diese niedersinnigen Testosteron-Geiseln, sichten die Weichbilder durchweg ideologisch unbekümmert; allenfalls erkundigen sich sensitive Sexualphysiker beim Sender, ob die fellinieske Tiziana "Blei in den Schuhen" habe, weil sie andernfalls bei dieser Oberweite vornüberkippen müßte".

Solche feinmechanischen Betrachtungen trösten aber nicht darüber hinweg, daß "Tutti-Frutti" nur als geistiger Nachtexzeß für Leute mit geistiger Hohlraumversiegelung taugt, als Entsorgungspark für integrationsunfähige Teilzeit-Exhibitionisten. Balder, die Eiterbeule im Showgeschäft, beteuert rastlos, er sei "nicht so dämlich wie diese Sendung". Jede Folge wird ihm mit 4000 Mark vergolten, dafür muß er aber viel Hohn aus grobianischen Kreisen verkraften, die ihn gern als "Titten-Hugo" oder "Herr der Möpse" schmähen. Fürsorglich stehen ihm nur seine fleischigen Zitronen und Kiwis zur Seite: "We love Hugo".

Wie vergiftet allerdings diese Liebesäpfel sind, hat kürzlich Bild nach Rücksprache mit diversen Psychologen erfahren. Die Zerrüttung der Balderschen Ehe mit Frau Rosanne, so die Diagnose, sei eindeutig eine Flutkatastrophe weiblicher Sekundärreize, die den Herrn der Möpse schleichend ausgehöhlt habe: "Wie soll der Mann bei so vielen Brüsten eine vernünftige Ehe führen?". So wird womöglich - dank "Tutti-Frutti" - die tückische Mammophobie als Berufskrankheit anerkannt.

 

Aus "DER SPIEGEL"