BESCHWERDE EINES BAHNFAHRERS 
DER ZUSTAND DER BAHN AG ANFANG DES JAHRES 2000

Vorwort 
Dieser Bericht entspricht den Tatsachen und beinhaltet keine Schilderungen aus zweiter Hand. Der Schauplatz meiner Beschreibung beschränkt sich auf die Strecke Wremen - Bremen. Er beschreibt ausschließlich eigene Erfahrungen und Erlebnisse. Der Anteil der DB im VBN ist, vorsichtig ausgedrückt, dringend verbesserungsbedürftig.

Der Pendler 
Ein bedauernswertes Individuum, besonders wenn er im Landkreis Cuxhaven beheimatet ist und auf die Dienste der Bahn AG angewiesen ist.

Die Bahn AG 
Meiner Einschätzung nach ein abgewirtschafteter, träger, von überwiegend unfähigen Managern geführter Großbetrieb, der längst Konkurs anmelden müßte, wenn, ja wenn da nicht diese fatale Abhängigkeit der Kundschaft von dem Transportmonopolisten wäre. Die Tatsache, dass z.B. Nahverkehrszüge rappelvoll sind, wird möglicherweise vom Unternehmen Zukunft falsch interpretiert, frei nach dem Motto: Volle Züge, gute Arbeit! Irrtum! Wenn auch nur der Hauch einer Alternative für die gebeutelten Kunden in Sicht wäre, Lok- und Zugführer wären auf allen Strecken unter sich.

Die Politiker 
Diese stellen zwar vollmundig Forderungen an die Arbeitnehmerschaft bezüglich der Mobilität, verschließen aber gerne die Augen davor, ob und wie diese Forderungen umgesetzt werden können. So sind z.B. zwei Stunden Fahrzeit pro Weg durchaus zumutbar, um den Arbeitsplatz zu erreichen. Einen Spitzenplatz in dieser Liga nimmt der OKD Höppner ein mit seiner beharrlichen Weigerung, Cuxland in den VBN zu integrieren. Herzlichen Glückwunsch zu so viel Standfestigkeit!

Die Realität 
Mit jeder Fahrplanänderung fahren immer weniger Züge zu immer ungünstigeren Zeiten. Letztendlich droht die Streckenstillegung. Ein gut ausgelasteter Nahverkehrszug ist vergleichbar mit dem Inhalt einer Heringskonserve: Dicht gedrängt im eigenen Saft. Nun könnte man annehmen, dass dieser mißliche Zustand die Verantwortlichen der Bahn AG auf die Idee brächte, den aus vier bis fünf Wagen bestehenden Zug mit zwei, drei weitern zu verlängern, um die Situation zu entschärfen. Im Gegenteil, es wird praktisch gedacht: Man braucht die defekten Heizungen nicht zu reparieren, das Transportgut selbst sorgt für die nötige Wärme. Und, mal ehrlich, wo läßt es sich besser kuscheln als in einem Wagen der Bahn auf dem Weg nach Hause? Wenn sich die Zwischentüren nicht mehr schließen lassen, Raucher und Nichtraucher eine tolerante Masse bilden, da kommt Stimmung auf!

Über den Charme, den die veralteten Nachkriegs-Waggons ausstrahlen, braucht auch nicht weiter diskutiert zu werden. Es reicht nach Ansicht der Bahn völlig aus, wenn in den Ballungszentren und im Fernverkehr moderne Züge eingesetzt werden. Wo liegt Cuxhaven überhaupt?

Pünktlichkeit ist auch kein Thema für die DB. Aber so weit, dass die allgegenwärtige Unpünktlichkeit planbar wird, will die Bahn wieder nicht gehen. Wäre ja noch schöner: Timen, einsteigen und losfahren! Wo bleibt da der Thrill, das Abenteuer?

Bremen Hauptbahnhof: Einige Fahrgäste dürften das Verlassen des Bahnsteiges wegen einer Durchsage, der Zug habe leider 20 Minuten Verspätung, nachträglich bedauern. Diejenigen, die die Wartezeit zum Kaffeetrinken genutzt haben, durften nach dem Wiedererscheinen auf dem Bahnsteig die vollzogene Abfahrt ihres Zuges zur Kenntnis nehmen. Pech, denn der Zug kam doch schon nach fünf Minuten Verspätung, von einer entsprechenden Durchsage nichts zu hören. Da kann man nur sagen, so geht's nicht, liebe Fahrgäste! Wer nicht willens ist, ein halbes Stündchen zusätzlich vor Ort auf einen Zug zu warten, hat auch keinen Anspruch darauf, mitgenommen zu werden!

Auch die 25-Minuten-Päuschen zwischendurch auf freiem Feld, um mal eben eine Lok zu wechseln, sind durchaus als Service zu verstehen. Wann nimmt der Bahnkunde sonst schon Kenntnis von der ländlichen Topographie im Landkreis Osterholz, oder nimmt sich die Zeit, den Bahnhof Lübberstedt en detail zu studieren? Selbst so triviale Vorgänge wie das Aussteigen gestalten sich mitunter zu einer Fußreise durch den halben Zug, bis man eine noch funktionierende Türe findet, durch die man auf den rettenden Bahnsteig flüchten kann. Immerhin werden diese Türen mit vorgefertigten Schildern beklebt, die auf die eingeschränkte Ein- und Ausstiegsmöglichkeit hinweisen. Schrott allerorten.

Bremerhaven-Lehe, 6:14 Uhr, an die Hundert wartende Pendler: Der morgendliche Interregio, der von hier aus eingesetzt wird, kommt erst gar nicht aus dem Startloch. Mit 25 Minuten Verspätung rollt er endlich in den Ausgangsbahnhof. Grund unbekannt, wahrscheinlich Stellwerkcomputer oder -personal Hannover.

Bremerhaven-Lehe, 6:14 Uhr: Wagen 8 des Interregio ohne Licht und Heizung. Warum wird der Wagen mitgeschleppt?

Streckenfahrplan, gültig ab 30. Mai 1999. 
Bremerhaven Hauptbahnhof, 18:35 Uhr: Der SE nach Cuxhaven fährt fahrplanmäßig ab. 
Bremerhaven Hauptbahnhof, 18:37 Uhr: Der RE aus Bremen läuft fahrplanmäßig ein. Natürlich mit Fahrgästen, die in Richtung Cuxhaven gerne Anschluß gehabt hätten! 
Ganze zwei Minuten liegen dazwischen! 
Der nächste Anschluß nach Cuxhaven: IR um 19:51 Uhr!!! Ignoranz, Schlamperei, betriebliche Notwendigkeit?

Um Verniedlichungen, Beschönigungen und sonstige Ausreden hingegen ist die Bahn AG nie verlegen. Gut geschult, schwafeln die Zugbegleiter von Betriebsstörungen, "außerplanmäßigem Halt", immer begleitet mit der "Bitte um Verständnis". Nein, mein Verständnis ist endlich. Psychologisch geschickt, von Stammkunden längst durchschaut, die Vor-Vorankündigung eines Zuges: Ist abzusehen, dass ein Zug nach der planmäßigen Abfahrtszeit einläuft, erfolgt die 1. Ankündigung der Einfahrt. Der wartende Fahrgast ist erst mal beruhigt, der Zug kommt ja gleich. Erst kurz vor der tatsächlichen Einfahrt, nach weiteren fünf Minuten Wartezeit, ist dann die zweite Ankündigung zu vernehmen.

Aber es menschelt auch hin und wieder. Wenn wieder mal Großalarm angesagt ist, sprich: wenn nix mehr geht, dann verkneifen sich die Zugbegleiter schon mal den Kontroll-Rundgang, der sonst immer so schick-forsch durchgezogen wird, wohl aus Angst vor Pöbeleien der genervten Fahrgäste. Die absolute Spitzenleistung in puncto Fahrgastver*schung erbrachte unlängst ein Zugbegleiter eines Stadtexpresses bei Fahrtende Bahnhof Lehe: " ... wir verabschieden uns von Ihnen und hoffen, sie bald wieder an Bord begrüßen zu dürfen!""An Bord", das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen! In dem versifften Rappelzug!

Fahrgäste, die gewöhnlich morgens am Bahnhof Lehe zusteigen, gehen besondere Risiken ein, wenn sie Wert auf pünktliche Ankunft an ihrem Reiseziel legen. Zu den Spezialitäten des Versorgers gehört nämlich, dass ab und an schon mal ein Zug durchfährt ohne anzuhalten, sei es, weil der Lokführer noch pennt, übellaunig oder in Eile ist. Egal, es bleibt eine traurige Tatsache.

Apropos Spezialitäten: Beliebt ist neuerdings die Umwidmung von Zügen. Bei dieser Variante wird der Zug fahrplanmäßig als RE (Regionalexpress) ab Bahnhof Bremerhaven-Lehe verspätet(!) eingesetzt, und schwupps, am Bremerhavener Hauptbahnhof wird dann aus dem RE ein SE (Stadtexpress) mit gravierenden Folgen für Fahrgäste, die auf einen Anschlußzug angewiesen sind oder ihren Flieger erreichen wollen. Für Unkundige: Ein RE hält zwischen Bremerhaven und Bremen nur in Osterholz-Scharmbek und ist entsprechend schnell, ein SE dagegen pausiert an jeder Kanne. Doch damit nicht genug: Die Umwidmung mit der dazu gehörenden Verspätung wird noch getoppt mit einer weiteren 20-minütigen Zwangspause: Eine Schulklasse samt Betreuer fehlt, auf die müsse man noch warten. Da sage noch einer, die Bahn habe kein Herz!

Zum Thema Schulklassen fällt mir noch etwas ein: Normalerweise sind Platzreservierungen in Nahverkehrszügen verständlicherweise nicht möglich. Wie es gewisse Lehrer dennoch schaffen, ganze Wagen zur Hauptverkehrszeit am Nachmittag für Schulkinder zu reservieren, bleibt mir rätselhaft. Die vom Arbeitstag geschlauchten Pendler dürfen stehen, damit die Kinder und deren Betreuer -nach einem fröhlichen Weihnachtsmarktbummel- sitzen können! Das verstehe, wer will. Auf jeden Fall bezeichnend für die vorherrschende Ignoranz und Egoismus - vielleicht sogar eine bewußte Message der Lehrer an die Kids: "Seht her, so macht man das".

Bremerhaven Hauptbahnhof: Den letzten Schrei in Sachen Pünktlichkeit stellt das schlichte "Nicht Abfahren" von Zügen dar. Sie haben richtig gelesen. Man läßt Fahrgäste um 16:30 Uhr erst in den SE nach Cuxhaven einsteigen und dann im Dunkeln und in der Kälte sitzen. Zehn Minuten nach der planmäßigen Abfahrt kursieren erste Gerüchte unter den Fahrgästen, dass dieser Zug nicht abfährt. Offenbar gab es Augen- oder Ohrenzeugen dafür, dass der Zugführer sich kurzfristig krank gemeldet und den Zug verlassen hat. Ob wirklich krank, oder um dem Arbeitgeber eins auszuwischen, sei dahingestellt. Zum Glück gibt es aufmerksame Fahrgäste, die ihre Leidensgenossen im Zug informieren, denn das Unternehmen ist diesbezüglich völlig unsensibel. Es brilliert eher mit Schweigen und Vertuschen: Der bedauernswerte DB-Mitarbeiter, der den erbosten Fahrgästen in aller Eile den Taxigutschein ausstellte, mußte sich noch einem Vorgesetzten gegenüber rechtfertigen, wie er dazu käme, den Passagieren den wahren Grund der "Betriebsstörung" mitzuteilen. Als ob die Fahrgäste nicht Augen und Ohren hätten! Ein Standby-Zugbegleiter pro größerem Bahnhof wäre ja der schiere Luxus und ökonomisch nicht zu vertreten.

Das schlimmste aber ist die Ohnmacht, das Gefühl des Ausgeliefertseins an den Monopolisten. Das Gefühl, dass auch der tägliche Stau ab Bremen Burglesum keine Alternative sein kann, sollte man mit dem Auto liebäugeln. Kein Anprechpartner in der Nähe, an den man sich wenden könnte mit all dem Frust. Es ist eben nicht wie beim Bäcker. Wenn ich da keine Schwedenbrötchen kriege, kaufe ich sie halt in Zukunft anderswo.

Also, was tun?

Schreiben an die Bahn AG? Lachhaft! Was die wohl mit den zig-tausend täglich eingehenden Protestschreiben machen - klar doch: File 13, der Papierkorb. Bleibt ja unter uns. Bezeichnend für die Denkweise des Vorstandes ist das Verhalten des künftigen Vorstandsvorsitzenden Mehdorn, dessen erste Amtshandlung im Entfernen der "Unpünktlichkeitstafeln" aus den Bahnhöfen bestand! O-Ton: So schlecht ist die Bahn nicht, wie sie dargestellt wird! Signal an die Kundschaft: Auch in Zukunft wird sich nichts ändern!

Schreiben an die Politiker? Hätte nicht einmal zu Wahlzeiten Aussicht auf Erfolg.

Die Medien auf die Mißstände hinweisen? Welche Zeitung hat den Mut zur Wahrheit, der "SPIEGEL" ausgenommen? Selbst wenn sich ein Redakteur fände: über dem drohnt bekanntlich immer der Verleger, und der hat vielleicht ganz andere Interessen als die Quengeleien von 5000 Pendlern über den Service der Bahn AG zu veröffentlichen.

Leserbrief? Wie soll man das in zehn Zeilen packen?

Bleibt die Veröffentlichung im Netz! 
Auf jeden Fall auf den eigenen Seiten; Zusätzlich werde ich versuchen, bei DER-NORDEN.DE ein Dauer-Diskussionsforum einrichten zu lassen, an dem sich, sollte es realisiert werden können, hoffentlich viele LeidengenossInnen beteiligen werden. 
Ich könnte jeden Tag ein "Horror-Döntje" aus dem Pendleralltag beisteuern. Der geneigte Leser soll hier weder überfordert, noch soll ihm der Appetit genommen werden. Er soll Verständnis für die Situation derer aufbringen, deren Arbeitsplatz nicht um die Ecke angesiedelt ist. Für mich persönlich ist leider festzustellen, dass mich sieben Jahre berufsbedingtes Pendeln nach Bremen stark verändert hat. Das kann auch der Sport, dem ich leidenschaftlich anhänge, nicht mehr ausgleichen.

Es darf gefragt werden: 
    • Hat die DB nach der Privatisierung noch einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen oder nicht? 
    • Ist das miese Image der Bahn AG noch steigerungsfähig? Was muß noch passieren, damit es endlich zu Verbesserungen kommt? 
    • Schauplatz dieser Schilderung ist Deutschland, eine der führenden Industrienationen, nicht in irgend einem Dritte-Welt-Land. Eine Schande?
    • Warum gelingt z.B. der EVB auf der Strecke nach Hamburg mühelos, was der Bahn AG nicht gelingen will?
    • Wozu hängen Fahrpläne aus, wenn die Bahn AG sich nicht daran hält?
    • In wie weit hat der Landkreis mit Schuld daran, dass sich der Nahverkehr in unserer Gegend so desolat und unterentwickelt darstellt?
    • Kann es politisch erwünscht sein, dass noch mehr frustrierte Pendler das Auto benutzen?
    • Wann endlich wird dieses Problem als solches erkannt und ernst genommen? 
Der Zeitpunkt ist abzusehen, wann der erste Pendler ausrastet und als Amokläufer in einem Nahverkehrszug Premiere feiert! Das Maß ist übervoll!

Ich fordere für den Gegenwert meiner Monatskarte von der Bahn AG oder Betreiber

  • einen bedarfsgerechten Fahrplan zwischen Bremerhaven und Bremen in modernen und schnellen Triebwagen, realisiert im Wechsel zwischen RE und SE, sowie zeitlich abgestimmte Anschlußverbindungen in Richtung Cuxhaven 
  • einen Pendelverkehr mit modernen Dieseltriebwagen zwischen Bremerhaven und Cuxhaven, sowie 
  • den Ausbau der Strecke nach Cuxhaven und nicht zuletzt 
  • Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit 

 

 Peter Valentinitsch 
18. Dezember 1999